Originaltitel: Saw VI
Herstellungsland: USA 2009
Regie: Kevin Greutert
Drehbuch: Marcus Dunstan, Patrick Melton
Darsteller: Tobin Bell, Costas Mandylor, Shawnee Smith, Shauna MacDonald
Nach sechs Jahren und ebenso vielen Filmen sind Sie entweder ein Fan von „Saw“ oder Sie sind es nicht. Der erste „Saw“-Film war eine der größten Überraschungen in einem Genre, von dem man allgemein nicht mehr viel Neues zu erwarten gehofft hatte. Und dann gelang es den Machern auch noch, über mehrere (zugegeben hastig herausgebrachte) Fortsetzungen hinweg die Spannung aufrecht zu erhalten, ja sogar noch zu steigern, und dabei immer tiefer in die Hintergründe der Story vorzudringen. Doch mit „Saw V“ kam der große Absturz. Die Handlung des Films reduzierte sich im Prinzip darauf, das zweite Protégé von Jigsaw, den Polizisten Hoffman (Costas Mandylor), dabei zu zeigen, wie er um die Fallen und Szenen der vorangegangenen Filme herumschleicht. Flashbacks en masse. Der fünfte Teil war so schlecht, dass ich mich innerlich von der Serie lossagte. Von „Saw VI“ wollte ich gar nichts mehr wissen… Doch gleich einem Naturgesetz kommt jedes Jahr zu Halloween in den USA ein neuer Teil von „Saw“ in die Kinos und findet etwas später den Weg in die heimischen Lichtspielhäuser. So auch diesmal. Meine Erwartungen hätten niedriger nicht sein können, weshalb es nicht überraschen dürfte, dass ich bereits nach wenigen Minuten zur Überzeugung kam, dass „Saw VI“ eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorgänger darstellt. Um ehrlich zu sein, so gut war die Serie zumindest seit Teil 3 nicht mehr.
Den Inhalt eines „Saw“-Filmes zu erläutern und dabei auch immer wieder an Handlungsstränge aus früheren Teilen erinnern zu müssen, ist eine Heidenarbeit und würde mehrere Seiten füllen. Deshalb hier nur eine kurze Zusammenfassung. Marcus Dunstan und Patrick Melton, die schon die Drehbücher für die Teile 4 und 5 schrieben, liefern diesmal eine überraschend clevere Geschichte ab, die – das eine Neuheit innerhalb der Serie – auf aktuelle (gesellschafts)politische Konflikte Bezug nimmt. Wie allgemein bekannt sein dürfte, litt Jigsaw (Tobin Bell) an einem Gehirntumor, seine Krankenversicherung jedoch war – wie leider in den USA häufig der Fall – nicht gewillt, die Kosten für eine möglicherweise lebensrettende Behandlung zu übernehmen. „Saw VI“ handelt im Wesentlichen von William (Peter Outerbridge), dem Mann, der dafür verantwortlich war, dass Jigsaw nicht hinreichend behandelt werden konnte. Deshalb wird er nun mit einer Reihe von Fallen konfrontiert, die ihn dazu bringen sollen, seine Fehler zu erkennen und sich durch innere Einkehr möglicherweise selbst zu retten. Selbstverständlich werden auch noch andere Mitarbeiter der geldgierigen Krankenversicherung Opfer von Jigsaws Racheplänen.
Dass „Saw VI“ so gut geworden ist, hat einige Ursachen. An erster Stelle ist Regisseur Kevin Greutert für seinen Mut zu danken. Während Teil 5 lieblos wie nach Schablone inszeniert wurde und deshalb fast wie eine Folge einer Fernsehserie wirkte, vereint „Saw VI“ die besten Elemente aus den ersten vier Teilen: das Geheimnisvolle von „Saw“ aus mitreißende Tempo von „Saw II“, die großen „Schuld und Sühne“-Momente aus „Saw III“ und die originellen Blut- und Folterszenen aus „Saw IV“. die Bildsprache ist ebenfalls beeindruckend: rasche Schnitte, ruhigere Kamerafahrten und Handkamera werden gleichermaßen sinnvoll eingesetzt und tragen maßgeblich dazu bei, die richtige Stimmung zu schaffen.
Auch der Umstand, dass sich die beiden Drehbuchautoren Dunstan und Melton dankenswerterweise die Kritik der Fans zu Herzen genommen haben, hat dem Film sichtlich gut getan. Das Hauptproblem an „Saw V“ war, dass sowohl Jigsaw als auch Amanda (Shawnee Smith) so gut wie nicht vorkamen und selbst Hoffman eigentlich nur eine Randfigur war. In „Saw VI“ steht Jigsaw wieder im Mittelpunkt der Handlung und treibt das Geschehen voran (ja, der Antiheld ist zurück, und er ist genial und grausam wie gewohnt – als Fan muss man ihn einfach lieben). Auch Amanda ist zurück und wird zum Auslöser einer überraschenden Wendung, die man fast nicht glauben kann. Aber die wahre Überraschung ist Costas Mandylor, der als Hoffman endlich etwas zu tun bekommt und sich im Verlauf der 90 Minuten vom Langweiler zum neuen Helden und würdigen Nachfolger von Jigsaw mausert. Plötzlich zeigt er so etwas wie Persönlichkeit und Antrieb; er wirkt zum ersten Mal nicht wie ein Fremdkörper, sondern wie ein integraler Bestandteil des „Saw“-Universums. Dunstan und Melton erfreuen den Zuschauer aber nicht nur mit dieser Charakterentwicklung, sie haben sich auch eine fesselnde und noch dazu schlüssige Geschichte einfallen lassen, die gleich mit einem Paukenschlag beginnt und einen am Ende mit dem Wunsch nach mehr aus dem Kino entlässt.
Bei aller Freude über die Steigerung gegenüber dem Vorgänger darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch „Saw VI“ einige Schwächen aufzuweisen hat. Ein paar der Darsteller sind alles andere als überzeugend, auch trüben immer wieder technische Mängel offenbar. Dazu kommt noch, dass die Querverweise innerhalb der Serie mitunter schon überhand nehmen. Bald wird der Zuschauer ein Handbuch brauchen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Doch hier klagt der Filmfreund auf hohem Niveau, denn schließlich will „Saw VI“ in erster Linie unterhalten – und das schafft der Film mit Bravour. Darf man wirklich mehr von der fünften Fortsetzung eines billigen Horrorfilms erwarten?
Fazit: „Saw VI“ erfüllt die Erwartungen der Fans voll und ganz und schafft es, der tot geglaubten Serie neues Leben einzuhauchen. Wird die ersten fünf Teile nicht gesehen hat, wird sich schwer tun, der Handlung zu folgen. Doch die spannende Inszenierung, die wahrscheinlich brutalsten Fallen bisher und das grandiose Finale machen „Saw VI“ zu einem der besten Horrorfilme des Herbstes, wenn nicht des Jahres. Weiter so.
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