Originaltitel: The Lovely Bones
Herstellungsland: USA 2010
Regie: Peter Jackson
Drehbuch: Peter Jackson, Fran Walsh, Phillippa Boyens, basierend auf dem Roman von Alice Sebold
Darsteller: Saoirse Ronan, Mark Wahlberg, Rachel Weisz, Stanley Tucci, Rose McIver, Susan Sarandon, Michael Imperioli
Wie sehr ist ein Film dem Buch verpflichtet, auf dem er beruht? Weniger als Sie vielleicht denken. Es ist schön, wenn es den Machern gelingt, Handlungsstränge, wichtige Figuren und entscheidende Themen von einem Medium ins andere hinüberzuretten, aber Literatur und Kino sind einfach so verschieden – das eine unendlich geistig, ja vergeistigt, das andere nur auf das fixiert, was wir sehen und hören können -, dass es geradezu hoffnungslos erscheint, den Versuch auch nur zu wagen. Schlussendlich muss der Film als Film funktionieren, nicht mehr und nicht weniger.
Peter Jacksons Verfilmung des Bestsellers „In meinem Himmel“ von Alice Sebold ist ein ganz besonderer Fall: Ein spektakulärer Fehlschlag nicht nur als Film, sondern auch als Buchadaption. Die groben Fehlgriffe ziehen sich wie ein roter Faden durch den gesamten Streifen. Es hat fast den Anschein, als hätte der Regisseur angesichts der vielen kreativen Herausforderungen stolz und konsequent in jedem Fall dien falschen Weg eingeschlagen.
Aber vielleicht muss man ja unter Wahnvorstellungen leiden, um den Versuch zu unternehmen, aus so einem Buch einen geschmackvollen und ansprechenden Film zu machen. Schließlich wird die Geschichte aus der Sicht eines Mädchens erzählt, das, nachdem es bereits zu Beginn vergewaltigt und ermordet wurde, irgendwo zwischen Himmel und Hölle festsitzt. Susie Salmon (gespielt von der fünfzehnjährigen Saoirse Ronan, bekannt als junge Verräterin aus „Abbitte“ und mit Abstand das Beste an „In meinem Himmel“) schwebt in den 1970-er Jahren in einem surrealen Nachleben über ihrer kleinen Heimatstadt in Pennsylvania und beobachtet, wie ihre Familie und die Freunde mit ihrem Verschwinden zu Rande zu kommen versuchen. Der Erzählton des Romans ist wehmütig, elegisch, distanziert, in direktem Kontrast zu den quälenden Geschehnissen und Emotionen, die Susie beschreibt. Ohne diese Naivität – Susies Stimme – wäre die Geschichte nur schwer zu ertragen.
Peter Jacksons erster Fehler besteht darin, dass er glaubt, der Zuschauer wolle wissen, wie der Himmel aussieht. Da „Der Herr der Ringe“ und „King Kong“ den Regisseur als regierenden König der visuellen Effekte etabliert haben (allerdings dürfte ihn James Cameron mit „Avatar“ vom Thron gestoßen haben), führt er uns Susies Leben nach dem Tod als eine Reihe ausgedehnter, sich ohne Unterlass verwandelnder digitalisierter Landschaften vor Augen - Berge, die sich erheben, Monde, die sich abwärts drehen, Mandarinenbäume, Marmeladehimmel. Das Ganze sieht aus, als hätte man die 12 Blätter eines teuren New-Age-Kalenders animiert – und es ist Kitsch in Reinkultur. Und es geht völlig am Ziel vorbei. Susies Himmel ist unvollendet, weil ihr Leben unvollendet ist; selbst die fünfzehnjährige Hauptdarstellerin scheint das verstanden zu haben.
Jacksons zweiter, und viel schwerwiegenderer, Fehler ist, dass er gut die Hälfte der Figuren und Handlungsstränge, die das Buch erst interessant gemacht haben, über Bord wirft. Wenn Ihnen der Roman bekannt ist, dann wissen Sie sicherlich, dass unter „Lovely Bones“ (Originaltitel) die Beziehungen zu verstehen sind, die sich nach Susies Ermordung entwickeln. Es kommen immer mehr Figuren hinzu, weil sich das Leben nun einmal so entwickelt – als stets komplexer werdendes Geflecht menschlicher Beziehungen. Durch Susies jüngere Schwester Lindsay (Rose McIver) lernen wir ihren Freund Samuel Heckler (Andrew James Allen) sowie dessen launenhaften älteren Bruder Hal kennen; durch Ray Singh (Reece Ritchie, auf gruselige Weise um einiges zu alt für seine Rolle), den ersten Jungen, den Susie geküsst hat, kommen wir in Kontakt mit seiner Mutter (Anna George), einer vernachlässigten Einwanderer-Hausfrau, die die Güte in Person ist. Und so weiter.
Peter Jackson und seine Co-Autoren Fran Walsh und Phillippa Boyens kürzen oder eliminieren viele – zu viele! – dieser Charaktere und lassen sogar die Affäre zwischen Susies Mutter (Rachel Weisz) und dem ermittelnden Polizeibeamten (Michael Imperioli) unter den Tisch fallen. Die zwei werden darauf reduziert, einander sehnsüchtige Blicke zuzuwerfen, aus denen sich nichts entwickelt. Es wimmelt nur so von begnadeten Schauspielern, deren talente kaum genützt werden: Susan Sarandon in der Rolle der versoffenen Großmutter ist fast schon eine Parodie der weisen alten Frau im Buch, und der arme Mark Wahlberg erweckt den Eindruck, als hätte Susies Vater mit dem Baseballschläger einen kräftigen Hieb auf den Kopf erhalten, was er im übertragenen Sinn auch tatsächlich hat.
Jacksons dritter, und größter, Fehler ist, dass sich „In meinem Himmel“ in immer stärkerem Maß auf die die eine Person konzentriert, die keine menschlichen Beziehungen hat: George Harvey, den Mörder von Susie. Er wird von Stanley Tucci gespielt, und zwar als Durcheinander aus Haarstil und Make-up (grüne Kontaktlinsen und grässliche, über die Glatze gekämmte Haare) und verschwitzten nervösen Zuckungen; die Kamera klebt förmlich in seinem Gesicht, damit wir nur ja merken, dass er ein Monster ist. Hier haben wir es mit einem der seltenen Fälle zu tun, in denen es einem sehr guten Schauspieler gestattet wird, eine schlechte Leistung abzuliefern, ein weiterer Beweis dafür, dass Peter Jackson das Gespür für die Geschichte fehlt. Er macht aus „In meinem Himmel“ einen Serienkiller-Thriller, der die Spannung einzig aus der Frage bezieht, ob Lindsay Georges nächstes Opfer wird.
Doch Spannung und Suspense sind nicht die Dinge, über die Alice Sebold geschrieben hat, und kein filmisches Ummodeln vermag daran etwas zu ändern. Auch um Lösung des Falles und um Rache geht es nicht, was schon so manchen Leser an den Rand des Wahnsinns getrieben hat. Die Themen der Geschichte sind viel mehr Vergebung, Versöhnung und die Bewältigung eines Schicksalsschlags – Inhalte, die sich nicht gut mit dem epischen kommerziellen Kino vertragen, für das Peter Jackson steht. Der Regisseur arbeitet hier so weit außerhalb seines gewohnten Fahrwassers, dass er einen Fehler nach dem anderen begeht, so etwa, wenn er Holly (Nikki SooHoo), Susies kleine Freundin in der Zwischenwelt, in einen kindischen Dummkopf verwandelt, und sogar die gespenstische Quasi-Auferstehung, zugleich finaler Höhepunkt und unglaubwürdigster Moment des Buches, verbockt. (Jackson zeigt das Gesicht der falschen Person und begeht damit seinen eigenen unziemlichen Akt filmischer Pädophilie.)
„In meinem Himmel“ ist nicht eines dieser filmischen Desaster, die so schlecht sind, dass man sie schon wieder für gut halten kann. Es ist kein „Plan 9 From Outer Space“, sondern eine Katastrophe, vor der man so schnell als möglich flüchten möchte, angewidert, wenn man das Buch kennt, verwirrt und leicht beunruhigt, wenn man es nicht kennt. Kaum zu glauben, dass Peter Jackson einst mit „Heavenly Creatures“ ein hervorragendes, erschütterndes Phantasie-Drama über zwei weibliche Teenager drehte, aber das ist auch schon 16 Jahre her. Heute vermag er offenbar nur noch in großen Maßstäben zu denken, und deshalb hat er diese fragile kleine Geschichte genommen und geradezu zerbröselt.
Fazit: Eine intime und feinfühlige Geschichte wird in gewaltigen Bilderfluten ertränkt. Wer außer visuellen Effekten wenig von einem Film verlangt, wird auf seine Kosten kommen, Freunde des Buches sowie anspruchsvoller Unterhaltung sollten diesen filmischen Kitschbrocken meiden.
0 comments
Kommentar veröffentlichen