Ridley und Russell dekonstruieren den Robin-Hood-Mythos
Originaltitel: Robin Hood
Herstellungsland: USA 2010
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Brian Helgeland
Darsteller: Russell Crowe, Cate Blanchett, Max von Sydow, William Hurt, Mark Strong, Oscar Isaac, Danny Huston, Mark Addy
Was mag den stets in epischen Maßstäben denkenden Regisseur Ridley Scott dazu veranlasst haben, einen weiteren Robin-Hood-Film zu drehen? Er befasste sich schon in dem sträflich unterbewerteten „Königreich der Himmel“ mit der Kreuzzugsthematik und arbeitete mit Russell Crowe bei dem enorm erfolgreichen „Gladiator“ zusammen. Warum also verspürt er das Bedürfnis, sich zu wiederholen? Warum begibt er sich nochmals in den Sherwood Forest, wo selbst Mel Brooks schon seine Spuren hinterlassen hat?
Wahrscheinlich ist das Drehbuch von Brian Helgeland (zuletzt „Green Zone“) dafür verantwortlich zu machen, das sich erheblich von allen bisherigen Robin-Hood-Versionen unterscheidet. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Prequel. Erzählt wird, wie Robin Longstride (Russell Crowe) Marian Loxley (Cate Blanchett) kennenlernte und sich in sie verliebte, wie er sich König John (Oscar Isaac) zum Feind machte, wie er sich mit Bruder Tuck (Mark Addy) und Little John (Kevin Durand) anfreundete und in weiterer Folge seine Bande von Merry Men zusammenstellte. Der Zuschauer erfährt auch, was ihn dazu bewog, die Reichen zu bestellen, um den Armen helfen zu können. Der Film endet mit der Einblendung „Und so beginnt die Legende“. Ridley Scotts neuester Streifen hört just in dem Moment auf, da die Geschichte anfängt, interessant zu werden.
Bekanntlich ist Scott ein begeisterter Hobbyhistoriker, und er erklärt Journalisten gerne: „Ich mache keine Filme. Ich erschaffe Welten.“ Es ist unschwer nachzuvollziehen, warum er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte, einen mythischen Volkshelden in eine komplexe Handlung einzubauen, die im 13. Jahrhundert spielt und in der es um französische Bestrebungen geht, England zu erobern. Mit „Robin Hood“ darf Ridley Scott die Geschichte umschreiben und sich ganz auf die feinen Details konzentrieren, die ihm so am Herzen liegen, wie zum Beispiel der kleine Wachstropfen, mit dem ein Schriftstück versiegelt wird, das eine Brieftaube transportiert, oder die feinen Verzierungen auf Marions Steigbügeln.
„Robin Hood“ ist ein großartig aussehender Film. Obwohl der Streifen bis oben hin mit computergenerierten Effekten vollgestopft ist, sieht keine einzige Einstellung künstlich aus. Das Produktionsdesign ist von allergrößter Qualität. Aber das Ganze ist ein hohles, langweiliges Spektakel. Russell Crowe ist normalerweise ein sehr intensiver Schauspieler und geht mit großer Entschlossenheit an seine Rollen heran, aber er scheint nicht so recht an Robin zu glauben. Wenn man in seine Augen schaut, sieht man einen Darsteller, der versucht, sich seinen Text zu merken. Und die Leistungen seiner Kollegen sind von höchst unterschiedlicher Qualität. Oscar Isaac übertreibt auf humorvolle Weise die Launenhaftigkeit von König John, der, kaum hat er die Krone seines verstorbenen älteren Bruders Richard auf dem Kopf, zu einem halbstarken Tyrannen wird, während William Hurt in der Rolle des Beraters, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Exposition aufzusagen, wie ein Schlafwandler wirkt.
Blanchetts Marion ist härter und weniger auf Hilfe angewiesen als die meisten bisherigen Inkarnationen, aber ihrer Romanze mit Robin wird zu wenig Zeit gewidmet, weshalb die Beziehung der beiden, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen sollte, eher wie eine nachträglich hinzugefügte romantische Nebenhandlung wirkt. „Robin Hood“ erwacht nur einmal wirklich zum Leben, und zwar im großen Finale, einer ausgedehnten Kampfsequenz, in deren Verlauf die Franzosen an der britischen Küste landen. Das Gemetzel erinnert stark an die Szenen von derInvasion der Alliierten in der Normandie, im Küstenabschnitt Omaha Beach, mit denen Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ beginnt, nur mit Schwertern und Bögen anstelle von Gewehren und Granaten.
Der Rest von „Robin Hood“ – und der Film dauert immerhin 140 Minuten – ist ungefähr so mitreißend wie eine Statistikvorlesung. In dem Moment, als Max von Sydow, der Marions gütigen, blinden Schwiegervater spielt, Russell Crowe zur Seite nimmt und zu ihm sagt „Ich denke, ich kann Ihnen viel über Geschichte erzählen“, sah ich mich fast panikartig nach den Notausgängen um, da zu befürchten war, dass sich irgendeiner der Zuschauer aus lauter Langeweile spontan selbst entzündet. Ridley Scott hat schon einige langweilige und langatmige Filme inszeniert („1492 – Die Eroberung des Paradieses“), aber noch keinen, der so sinnlos war. „Robin Hood“ bringt etwas zuwege, das man nicht für möglich gehalten hätte: man sehnt sich nach Kevin Costner und Bryan Adams. „Robin Hood – König der Diebe“ war zwar historisch äußerst ungenau, dafür aber wenigstens unterhaltsam.
Fazit: Nach Schema F gedrehtes Pseudo-Heldenepos, das unverkennbar von „Gladiator“, „Braveheart“ und „Der Soldat James Ryan“ beeinflusst wurde und wie der erste Teil einer Superhelden-Reihe wirkt. Dieses überlange Eitelkeitsprojekt, vieleicht das schlimmste seit „Battlefield Earth“, hat nur mäßigen Unterhaltungswert und kann nur hartgesottenen Fans der Herren Scott und Russell uneingeschränkt empfohlen werden.
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