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Agora – Die Säulen des Himmels

Montag, 15. März 2010

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Originaltitel: Agora
Herstellungsland: Spanien 2009
Regie: Alejandro Amenabar
Drehbuch: Alejandro Amenabar, Mateo Gil
Darsteller: Rachel Weisz, Max Minghella, Oscar Isaac, Michael Lonsdale, Rupert Evans

„Wenn Sie sich jedoch entscheiden, nichts zu tun, sind Sie dazu verdammt, dasselbe immer und immer wieder zu tun“.    

                                                             Hypatia (Rachel Weisz), Agora

So mancher Filmfreund braucht nur den Namen Alejandro Amenabar zu hören, und schon ist das Interesse geweckt. Falls Sie nicht in diese Kategorie gehören, lassen Sie mich kurz Ihre Erinnerung auffrischen. 1997 führte er Regie bei dem Arthouse-Klassiker „Open My Eyes“ („Abre los ojos“), für den er zusammen mit Mateo Gil auch das Drehbuch verfasste. Dieser film ist den meisten wohl aufgrund des äußerst eigenwilligen US-Remakes unter dem Titel „Vanilla Sky“ bekannt. 2001 realisierte Herr Amenabar seinen ersten englischsprachigen Film, den unheimlichen Thriller „The Others“ mit Nicole Kidman, bei dem ausnahmsweise Mateo Gil nicht am Drehbuch mitarbeitete. Daraufhin kehrte er zu seinen spanischen Wurzeln zurück und drehte mit Javier Bardem in der Hauptrolle „Mar adentro“ („Das Meer in mir“), für den er den Oscar in der agora-film-091309 Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ gewinnen konnte. Nun engagierte er hervorragende Schauspieler wie Rachel Weisz, Max Minghella und Oscar Isaac für sein neuestes Werk, in dem es weder um Gesichtsrekonstruktion, noch um Geister oder Sterbehilfe geht. Die Rede ist von dem prachtvollen, zum Denken anregenden römischen Epos „Agora“.

Der Film handelt von einer der beeindruckendsten Frauen der Geschichte – Hypatia, einer der führenden Geistesgrößen in der von den Römern regierten ägyptischen Metropole Alexandria, die allgemein als erste bedeutende Mathematikerin gilt. Sie studierte Philosophie und Astronomie und war als Lehrerin bei Heiden wie Christen sehr geschätzt. „Denn alle Männer bewunderten sie ob ihrer Würde und Tugend umso mehr.“copyrightjps2010_2

Die filmische Handlung beginnt in Alexandria im Jahre 391 nach Christus. In den Straßen kommt es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der verschiedenen Religionen, denn die Christen werden immer einflussreicher, während Männer wie Ammonius (Ashraf Barhom) versuchen, durch flammende Reden und das Wirken von „Wundern“ die einfachen, nicht wahlberechtigten Bürger für sich zu gewinnen. Inzwischen ist Hypatia im Gebäude der berühmten agora_001 Bibliothek von Alexandria bemüht, den religiösen Aufruhr unter ihren Studenten zu besänftigen, während sie gleichzeitig gegen das Aufkommen romantischer Gefühle ankämpft. Ihr Sklave Davus (Max Minghella) liebt sie, kann und darf es ihr aber nicht sagen. Ihr Student Orestes andererseits nimmt jede Gelegenheit wahr, ihr seine Gefühle zu gestehen – selbst nachdem er angesichts ihrer blutigen Menstruationstücher die Flucht ergriffen hat.

Als während einer von Ammonius´ Reden ein römischer Soldat ums Leben kommt, ändert sich alles – ungeahnt heftige Gewaltausbrüche sind die Folge. Es geht hin und her, beide Seiten kämpfen mit unerhörter Verbissenheit – jede sucht mit aller Macht etwas erreichen, die Christen möchten mehr Einfluss, die Heiden wollen den ihren behalten - und beide sind der Ansicht, ihre Ansprüche wären nur allzu berechtigt, weshalb an Zugeständnisse nicht zu denken ist. Der Tod des Römers führt zu blutigen Vergeltungsmaßnahmen in den Straßen von Alexandria, in deren Verlauf auch die Bibliothek mitsamt dem in ihr angehäuften Wissen zerstört wird. Das philosophisch-wissenschaftliche Leben, in dem Hypatia bis dato so glänzend reüssiert hatte, liegt in Trümmern. Sogar Davus verlässt sie, um sich Ammonius anzuschließen.

Etliche Jahre später sind dieselben Kämpfe noch immer im Gange. Aber mittlerweile sind fast alle, auch der Präfekt Orestes, zum Christentum übergetreten. Die religiös motivierte Gewalt richtet sich jetzt in erster Linie gegen die Juden sowie gegen Frauen und Kinder. Hypatias Rechte und ihr politischer Einfluss sind nicht mehr gesichert – und daran geht sie auf entsetzliche und herzzerreißende Weise zugrunde.

Es wäre leicht, den Film als gegen die Christen gerichtet zu bezeichnen, aber das agora-002 wäre eine unzutreffende und allzu vereinfachende Sichtweise. Ganz abgesehen davon, dass Hypatias Bemühungen auf ein friedliches Zusammenleben aller Religionen gerichtet ist, wird keine der Parteien als ausschließlich gut oder böse dargestellt. Sowohl die Christen als auch die Heiden verhalten sich in manchen Momenten ehrenhaft, während sie in anderen unvorstellbare Grausamkeiten verüben; genau diese Ausgewogenheit ist es, die „Agora“ so interessant macht.

Das Produktionsdesign, die Bauten, die Filmmusik, der Stil und die Wucht des Films sind monumental, aber die Lebensgeschichte von Hypatia und der Untergang des römischen Alexandria sind perfekt ausbalanciert. Die optische Pracht und das epische Feeling schleichen sich nicht in die Handlung ein und blähen nicht alles zugunsten der Kinowirksamkeit auf. Dies ist kein Film im Stile von „Troja“ oder „Alexander der Große“, in dem das Spektakel wichtiger ist als die Handlung. „Agora“ lässt die überlieferte Geschichte für sich selbst sprechen – und wird so zu einem beeindruckenden Blick in die Vergangenheit und zugleich zu einer wichtigen Lektion für unsere Zeit, in der religiöse Konflikte und das Streben nach Vorherrschaft nach wie vor an der Tagesordnung sind.

Ganz besonders bemerkenswert ist die Charakterisierung der Hypatia. Ein ums andere Mal werden im typischen Hollywood-Kino selbst die stärksten Frauengestalten auf die Liebe und stereotypische Frauenbeschäftigungen reduziert, doch Amenabar und Gil bleiben stets dem Wenigen verpflichtet, das über die historische Hypatia bekannt ist. Zugegeben, sie fügen einige romantische Wendungen ein, aber Romantik und Leidenschaft gehen stets von den Männern aus. Nie bekommen wir Hypatia mit diesem romantisch verklärten Blick zu sehen; diese Momente gehören Orestes und Davus. Ihre Liebe gilt von Anfang bis Ende einzig und allein dem Lernen und dem Denken.

Dieses Bestehen auf Denken und Intellektualismus wird wahrscheinlich zur Folge haben, dass „Agora“ außerhalb Spaniens, wo er schon jetzt der erfolgreichste Film aller Zeiten ist, kein großer Publikumshit wird.

Fazit: Obwohl etwas zu monumental angelegt und zu oft mit dem erhobenen Zeigefinger predigend, ist „Agora“ dennoch ein gelungener und über weite Strecken unterhaltsamer Film mit einer der interessantesten Frauenfiguren seit langem. Wenn Sie keine Angst vor starken, selbstbewussten Frauen keine Vorbehalte gegen religiöse Gewalt haben, sollten Sie sich dieses etwas andere Epos nicht entgehen lassen.

 

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