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Precious – Das Leben ist kostbar

Mittwoch, 24. März 2010

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Angesichts dieses männerfeindlichen Pseudo-Sozialdramas erstarren die meisten Kritiker und Kinobesucher vor Ehrfurcht, obwohl der Film fast ausschließlich von den großartigen Leistungen dreier Darstellerinnen lebt.

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Originaltitel: Precious: Based on the Novel Push by Sapphire
Herstellungsland: USA 2009
Regie: Lee Daniels
Drehbuch: Geoffrey Fletcher, basierend auf dem Roman „Push“ von Sapphire
Darsteller: Gabourey Sidibe, Mo´Nique, Paula Patton, Mariah Carey, Sherri Shepherd, Lenny Kravitz, Stephanie Andujar

 

Nun kommt also einer der meistgepriesenen Filme des letzten Jahres endlich auch in unsere Kinos.copyrightjps2010_2

„Precious – Das Leben ist kostbar“ spielt im Jahre 1987 und handelt von einer massiv übergewichtigen, schweigsamen und analphabetischen afroamerikanischen Teenagerin namens Precious, die infolge wiederholter Vergewaltigungen durch den eigenen Vater zwei Kinder zur Welt gebracht hat. Eines dieser Kinder leidet unter dem Down-Syndrom, und Precious nennt ihn Mongo, kurz für „Mongoloid“. Diesen in Verruf geratenen Ausdruck hat sie irgendwo aufgeschnappt und verwendet ihn seither, ohne dessen wahre Bedeutung zu verstehen.

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Ihre Mutter Mary, die Lebensgefährtin des Vergewaltigers, lässt ihren Selbsthass in grotesk anmutenden Zornausbrüchen an Precious aus, schlägt routinemäßig auf sie ein und beleidigt sie in einem fort: „Du bist ein Dummkopf, Schlampe! Du wirst nie auch nur irgendwas wissen, niemand mag Dich, niemand braucht Dich! Du hast herumgefickt und meinen verfickten Mann gefickt und hast zwei verdammte Kinder; eines von ihnen ist ein gottverdammtes Tier, das nur herumrennt und wie ein verrückter Motherfucker aussieht…Ich hätte Dich abtreiben sollen!“ Und ähnliche Nettigkeiten.

Gerade als Precious diese Misshandlungen und Kränkungen durch speziellen Förderunterricht zu überwinden beginnt - eine wohlmeinende und scharfsichtige Lehrerin, der ihre mathematische Begabung aufgefallen ist, hat sie dafür eingetragen - und sogar durch erwachendes Selbstvertrauen ein gewisses Maß an Artikulationsfähigkeit erlangt hat, brechen im letzten Teil des Films neue Probleme und Sorgen über sie herein.

Die darstellerische Leistung von Gabourey Sidibe, die die Rolle der Precious im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert, ist eher problematisch. Der umfangreichen, sich langsam bewegenden Schauspieldebütantin mangelt es einfach an Ausdruckskraft, um diese sehr komplexe Rolle mit Leben zu erfüllen. Ihre Mutter wird um einiges gekonnter von der Komikerin Mo´Nique gespielt, die ein brutales, ja geradezu sadistisches Monster kreiert und für einen frostig-humorvollen Moment sorgt, als jemand vom Wohlfahrtsamt vorbeikommt und sie sich in ein Muster an fürsorglicher Ehrbarkeit verwandeln muss.

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Paula Patton spielt die unglaublich schöne und sich um Precious sorgende Lehrerin in der Förderklasse und Mariah Carey gibt ganz ohne Make-up und Glitzerschmuck Precious´ Sozialarbeiterin, eine übellaunige, skeptische Schreckschraube, die dennoch in der finalen Konfrontation mit Precious und ihrer Mutter in Tränen ausbricht. Carey überrascht dabei mit dem besten jüdischen Akzent seit Fran Drescher in der TV-Serie „Die Nanny“.

Die wichtigste Figur ist jedoch zweifellos eine, die nie auf der Leinwand erscheint: die ausführende Produzentin Oprah Winfrey, auf deren eigenes Spielfilmdebüt dieser streifen anzuspielen scheint, wenn Precious´ Lehrerin die Schülerinnen nach deren Lieblingsfarben fragt: ihre eigene ist Lila. Überall hängen motivierende Poster, die dazu aufrufen, sich zu engagieren und an sich selbst zu glauben, und wir bekommen sogar einen mit Oprah selbst zu sehen, der auf die enorme Bedeutung des Lesens hinweist.

Winfreys unterschwellige Eigenwerbung ist aber nicht das wahre Problem. Viel mehr schadet dem Film der extreme stilistische Bruch zwischen den extravagant alptraumhaften und den inspirierenden, den motivierenden Sequenzen. Der unendliche Alptraum aus Misshandlungen und Beleidigungen, in dem Precious lebt und der durch ihre schmerzhaft quälenden Tagträume von künftiger Berühmtheit noch verschlimmert wird, geht immer wieder abrupt über in entspanntere und mitunter sogar leicht Sitcom-artige Szenen im Klassenzimmer in der neuen Schule, wo sie von vorsortierten und garantiert nicht bedrohlich wirkenden Kolleginnen umgeben ist, die mit übertriebenem Gehabe einen auf farbige Künstlerin machen. Mit den vielen Akzenten, den Legwarmern und dem Streben nach Erfolg im Musikbusiness erinnert der Film plötzlich arg an „Fame“.

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Precious kann sicher nichts für den Rassismus, dem sie aufgrund ihrer Hautfarbe ausgesetzt ist, oder die sexistischen Bemerkungen, die fiese Typen ihr auf der Straße nachrufen, und ganz sicher kann sie nichts für die Vergewaltigungen und die Misshandlungen, die sie ertragen musste. Aber wie sieht es mit ihrer Fettleibigkeit aus? Ist die nicht schlecht für sie? Warum klären sie die wohlmeinenden Lehrer nicht über Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf oder reden mit ihr über Essen als Sucht oder auch den Umstand, dass Fettleibigkeit oft ein Symptom erlittenen Missbrauchs ist? Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihr Body-Mass-Index stillschweigend als Bestandteil ihrer kulturellen Identität behandelt wird und deshalb nicht hinterfragt werden darf.

Die Hauptfigur soll durch die Hölle gegangen sein, und in so einer Situation mag es verständlich erscheinen, dass Lehrer und Sozialarbeiter vielleicht davor zurückschrecken, das Körpergewicht der Betroffenen zur Sprache zu bringen.

Einmal ist Precious im komfortablen Mittelklassehaus ihrer schönen Lehrerin zu Gast und wird von dieser sogar noch ermuntert, mehr zu essen – weil sie noch Hunger (eigentlich Appetit) hat!

Dem Film ist eine unverblümte Kraft nicht abzusprechen, auch besteht kein Zweifel an Mo´Niques überragender darstellerischer Leistung. Dennoch ist „Precious – Das Leben ist kostbar“ nicht das Meisterwerk geworden, das manche Bewunderer in ihm sehen wollen: es handelt sich eher um einen schwarzhumorigen Alptraum, der nicht unbedingt lustig sein soll. Interessant ist der Film auf jeden Fall.

Fazit: Trotz des allgemeinen Hype nur mäßig gelungene Aschenputtel-Geschichte in der alle Männer Schweine, alle Frauen Opfer und Lesben die Coolsten sind. Erträglich wird das Ganze in erster Linie durch die herausragenden darstellerischen Leistungen von Mo´Nique, Paula Patton und – kaum zu glauben – Mariah Carey.

 

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