Leonardo DiCaprio taucht ein in einen Traum
Originaltitel: Inception
Herstellungsland: USA 2010
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Christopher Nolan
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page, Tom Hardy, Ken Watanabe, Cillian Murphy, Tom Berenger, Marion Cotillard, Michael Caine, Lukas Haas, Dileep Rao
Christopher Nolan scheint froh darüber zu sein, sich eine Pause von den großen Schatten von Gotham City gönnen zu können. „Inception“ sieht ebenso sehr wie ein Blockbuster aus wie „The Dark Knight“. Er wirkt auch von der ersten Minute an so. Aber er ist frei von Düsternis und dem Gefühl drohenden Verderbens. Wohl oder übel, er ist federleicht, was aber nicht bedeuten soll, dass er ganz ohne Bedeutung ist.
Nolans Hauptthema in diesem Hochglanzstreifen ist das Träumen, und die Welt, die er für uns erdacht hat, ist durchaus anregend und unterhaltsam. In „Inception“ ist es möglich, in die Träume anderer einzudringen, und in diesen Träumen kann sich ein ganzer Wohnblock in Paris in aller Ruhe zusammenfalten und eine Art lebende Esche-Lithographie kreieren. Es ist Joseph Gordon-Levitt auch möglich, durch einen Hotelkorridor und einen Liftschacht entlang zu schwimmen wie ein gewandter Astronaut, während er aufregende, aufwändig choreographierte Kämpfe austrägt.
Nolan bedient sich filmischer Kunstgriffe, um die Funktionsweise der Träume zu evozieren oder zu verändern. Wenn zum Beispiel ein Lieferwagen von einer Brücke stürzt, dauert der ganze Vorgang in einem Film von Tony Scott einige Sekunden, während hier dieselbe Szene zu einem wahren Ballet gerät. Der Lieferwagen braucht nahezu eine Stunde, um auf dem Wasser aufzuschlagen. Er wird in der Schwebe gehalten vom Fruchtwasser der Zeitlupe, und die Schnitte zurück zu seinem aufgeschobenen Absturz sind so etwas wie die Hollywood-Variante von Zen-Buddhismus.
Warum der Lieferwagen von der Brücke stürzt und ewig lange braucht, bis er das Wasser erreicht, ist eine andere Geschichte. Wenn es in „Inception“ ganz normal ist, in das Unterbewusstsein anderer Menschen einzuschleichen, dann interessiert sich Nolan in erster Linie für das kriminelle Unterfangen, das sich rund um diese Möglichkeit entwickelt. Dies ist im Prinzip ein Film über Einbrecher. Statt das Casino eines reichen Mannes auszurauben, überfallen Cobb (Leonardo DiCaprio) und sein Team das Unterbewusstsein des Mannes. Saito (Ken Watanabe), der japanische Geschäftsmann, dem Cobb und sein Partner Arthur (Joseph Gordon-Levitt) gerade Geheimnisse entwenden wollten, schlägt eine schier unmögliche Mission vor – Inception. Sie sollen in die Psyche des Erben (Cillian Murphy) von Saitos Geschäftsrivalen eindringen und dort ausnahmsweise nichts stehlen, sondern einen entscheidenden Gedanken einpflanzen.
Der Plan macht es erforderlich, eine Reihe von Leuten zu engagieren: Ellen Page als Architektin von Traumlandschaften, Dileep Rao als Anästhesisten der Gruppe und Tom Hardy als Eames, eine Art Traumzeit-Imitationskünstler. Es macht Spaß, diese Leute beim gegenseitigen Abtasten zu beobachten. Page ist perfekt besetzt, wenn auch sträflich unterbeschäftigt als Aufsagerin der Exposition, aber wenigstens ist sie in den Nahaufnahmen wunderschön anzusehen.
Der Auftrag gibt Cobb die Gelegenheit, zu den Kindern zurückzukehren, die er aus ziemlich komplizierten Gründen verlassen musste, die alle mit seiner emotional unausgeglichenen verstorbenen Frau zu tun haben, die sein Unterbewusstsein nur mit Mühe verdrängen kann. Marion Cotillard hat sichtlich Spaß daran, die Skizzen zu spielen, aus denen sich Mrs. Cobb zusammensetzt. Es hat fast den Anschein, als wäre sie durch vieler Männer Unterbewusstsein gesaust.
Der Einsatz erscheint hier ein wenig niedrig. Der visionäre Regisseur Nolan, der auch das Drehbuch schrieb, wird enttäuschend konventionell, wenn es um Dinge wie Liebe, Schuld und Sehnsucht geht. Er versucht zu angestrengt, aus seinem Gaunerfilm eine Odyssee zu machen. Aber das Zuhause – wo zwei herzige Kinder der Kamera von Cobbs Erinnerung immer den Rücken kehren - wirkt wie ein Grußkartenalptraum. Nicht zu vergessen, dass wir DiCaprio erst vor kurzem in „Shutter Island“, einem Film, der ähnlich wie „Inception“ mit mehrdeutig endet, mit denselben familiären Problemen konfrontiert gesehen haben.
Nolans Film ist zweifellos der bessere. Er treibt weniger Aufwand als Scorsese, selbst bei der Orchestrierung des großen Raubzugs. Dieser dauert ungefähr 80 Minuten (der Film selbst ist fast zweieinhalb Stunden lang), schließt zumindest zwei Träume im Traum mit ein und ist fehlerlos inszeniert. Nolan springt gekonnt zwischen dem abstürzenden Lieferwagen, dem Verschwinden der Schwerkraft und einer Lawine, die aus jedem beliebigen James-Bond-Film stammen könnte, hin und her. Seltsamerweise sind diese Traumlandschaften Orte der Vernunft und strahlender Reinheit – kein abartiger Sex und keine unterdrückten Erinnerungen. Stattdessen ist das Unterbewusstsein perfekt geeignet für die Inszenierung eines Action-Thrillers.
Ich nehme an, das passiert, wenn man sich zu lange in der Psyche eines Managers aufhält. In den zwei Batman-Filmen, bei denen Nolan Regie führte, ging es schließlich auch um die aufgewühlte Psyche eines reichen Mannes.
Was ich an Nolan als Regisseur besonders schätze ist, dass er nicht allzu viel reflektiert. Seine Filme entfalten und falten sich ohne erkennbare Mühe und Effekthascherei. Aber dieses Fehlen von Reflexion ist zugleich auch Nolans größte Schwäche. Während „Inception“ mit der Zeit immer komplizierter wird, gewinnt der Film nicht an Substanz. Er gleitet, schwebt vorwärts oder hinunter, aber die Tiefe ist nur direktional, nie psychologisch. Die vielen Ebenen stellen sich letztlich nur als Anordnungen von Oberflächen heraus. Wir befinden uns nicht in einer Psyche, sondern lediglich in einer Boutique.
Selbstverständlich sind dies die Träume anderer Leute, und sie stellen Cobb vor dieselbe physische Herausforderung wie Nolan. Wie soll man das zuwege bringen? Und zwar, indem man hofft, dass das Publikum zu geblendet ist, um Fragen zu stellen.
Fazit: „Inception“ ist ein perfekt inszenierter Action-Thriller, der intelligenter sein will, als er ist. Deshalb geriet die Exposition zu lang und dem ganzen Film mangelt es an Tempo. Dennoch bessere Unterhaltung als die meisten anderen Blockbuster dieses Sommers.
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