Der Nouvelle –Vague-Regisseur starb im Alter von 80 Jahren. Ein Rückblick auf seine Karriere mit Clips aus einigen seiner Filme…
Gemeinsam mit Jean-Luc Godard und François Truffaut leitete Claude Chabrol die „Neue Welle” ein, die Ende der 1950-er Jahre über das französische Kino hereinbrach. Chabrol, der wie seine Kollegen ein Filmkritiker war, der zum Filmemacher wurde, teilte ihre Wertschätzung der klassischen Form des Genres – manchen schätzte er sie sogar zu sehr, denn er begnügte sich damit ihre Beschränkungen zu erforschen, anstatt sie zu überwinden. Aber die erstaunliche Zahl an Filmen, die er im Laufe von 40 Jahren inszenierte, und sein herausragendes technisches Können garantieren ihm einen Platz unter den Größen des ersten Jahrhunderts der Kinogeschichte.
1930 in eine mittelständische Familie geboren, studierte Chabrol zunächst Rechtswissenschaften, ehe er sich Godard, Truffaut, Eric Rohmer und Jacques Rivette anschloss und mit ihnen zusammen Cahiers du Cinema ins Leben rief, das Epizentrum des Zelebrierens des „low“ Hollywood durch die Auteur-Bewegung. 1957 veröffentlichten er und Rohmer ihre maßgebende Studie über Hitchcock – ein Regisseur, der einen dauernden Einfluss auf Chabrols Arbeit hinter der Kamera haben würde. Eine Erbschaft, die seiner Frau im darauffolgenden Jahr zufiel, erlaubte es ihm, seinen ersten Spielfilm zu realisieren.
Obwohl vom Ansatz her reduziert und nicht radikal experimentell, gilt „Le beau Serge“ [„Die Enttäuschten“] als erster echter Nouvelle-Vague-Film. Er erzählt die mitunter schockierende Geschichte eines von Verzweiflung durchdrungenen Lebens in der französischen Provinz. Jean-Claude Brialy spielt François, der von Paris in seine Heimatstadt zurückkehrt, die geprägt ist von Kummer, Zorn und sogar Sittenlosigkeit – allerdings gemildert durch das Versprechen von Vergebung und die Gegenwart von hübschen Frauen, etwa der von Bernadette Lafont gespielten Marie, die in dem folgenden Clip (leider ohne Untertitel) François etwas näher kennenlernt.
Filme wie „Les cousins“ [„Schrei, wenn du kannst“] (1959), „Les bonnes femmes“ [„Die Unbefriedigten“] (1960) und „L'oeil du malin“ [„Das Auge des Bösen“] (1962) zeigten Chabrols Interesse an der Jugend, dem Gegensatz Hauptstadt – Provinz und der modernen Moral sowie seinen oftmals ironischen, distanzierten Stil, aber Mitte der 60-er Jahre wandte er sich kommerzielleren Projekten zu. Das psychologische Drama „Les biches“ [„Zwei Freundinnen“] (1968) leitete eine neue Phase ein, machte sein Interesse am erzählerischen Gebrauch des Raumes und an Eindringlingen, die Beziehungen stören, deutlich und markierte die erste Zusammenarbeit mit seiner künstlerischen Muse Stéphane Audran. Die Anfangsszenen etablieren den winterlich unterkühlten Ton des Filmes undzeugen von geradezu Hitchcock-artiger Aufmerksamkeit für Identität und Duplizität.
In echter Auteur-Manier behandelten Chabrols Filme wieerkehrende Themen und Motive: bourgeouise Konformität ringt darum, die nackte Leideschaft im Zaum zu halten, diejenigen, die schreckliche Pläne verfolgen, werden mitfühlend, oft in Szenen, in die Charaktere mit Namen wie Charles, Paul und Helene involviert sind. Zu seinen wichtigsten Filmen aus den späten 1960-er und frühen 1970-er Jahren zählen „Que la bête meure“ [„Das Biest muß sterben“] (1969), „Juste avant la nuit“ [„Vor Einbruch der Nacht“] (1971) und „Le boucher“ [„Der Schlachter“] (1970), in welchem ein Metzger, der möglicherweise ein Killer ist, eine Lehrerin umwirbt. Die Hochzeitsszene zu Beginn zeigt die Spannungen zwischen der scheinbaren Normalität und jenen Kräften auf, deren Unterdrückung sie verlangt.
Im Laufe seiner Karriere wurde Chabrol immer wieder mit Hitchcock – ebenso wie mit Fritz Lang und, wenn auch in geringerem Maße, Billy Wilder – verglichen, selbst wenn sich seine Vorgehensweise änderte. In den 1970-er Jahren begann er, ein neues Team regelmäßiger Mitarbeiter um sich zu scharen, drehte mehr fürs Fernsehen und inszenierte einige internationale Produktionen. „La décade prodigieuse“ [„Der zehnte Tag“] (1971) machte sich mit einer Rolle für Anthony Perkins, der sich nach seiner Mutter verzehrt und dem imposanten Familienoberhaupt (Orson Welles) nicht beachtet wird, Hollywoods Ikonographie zunutze.
Chabrol begann auch, mit Isabelle Huppert zu arbeiten, die er in vielschichtigen Rollen besetzte und deren oftmals undurchsichtige Schönheit er ausnutzte. So spielte sie etwa in „Violette Nozière“ (1978) eine junge Vatermörderin oder in „Une affaire de femmes“ [„Eine Frauensache“] (1988), dessen detaillierte Aufarbeitung der Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs für Kontroversen sorgte, eine zum Tode verurteilte Engelmacherin. In diesen Szenen aus ersterem Film prallen Glanz, Heimlichtuerei und Ablehnung der Konformität aufeinander.
Viele Kritiker sind der Meinung, Prägnanz und anhaltende Qualität von Chabrols früheren Werken hätten in den 1980-er und 1990-er Jahren nachgelassen, aber er blieb weiter produktiv; Filme wie „Madame Bovary“ (1991) waren national sehr erfolgreich, während „Docteur M” [„Dr. M“] (1990) und „L'enfer“ [„Die Hölle“] (1994) ausdrücklich Lang beziehungsweise Henri-Georges Clouzot Tribut zollten. In dem international gefeierten Film „La cérémonie“ [„Biester“] (1995) standen wieder Mord und Spannungen zwischen den Gesellschaftsschichten im Vordergrund. Eine unerlaubte Beziehung droht, die Fassade des Dorflebens zum Einsturz zu bringen. Der Innenraum ist wieder einmal entscheidend für das Kräfteverhältnis, wie der folgende Videoclip unter Beweis stellt.
Auf diesen Film folgten „Merci pour le chocolat“ [„Süßes Gift“] (2000) und der ebenfalls sehr gelobte „La fleur du mal“ [„Die Blume des Bösen“] (2003). Chabrol arbeitete bis kurz vor seinem Tod unverdrossen weiter.
„Bellamy“ [„Kommissar Bellamy“] - mit Gerard Depardieu in der Titelrolle - aus dem vergangenen Jahr war Chabrols fünfzigster Film und zeigte, dass des Filmemachers fortwährendes Interesse am Genre, an Unterdrückung, zweifelhafter Moral und trügerischer Schönheit so gegenwärtig war wie zu Beginn seiner Karriere vor mehr als einem halben Jahrhundert.
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